Der Zweitplatzierte Markus Eisenbichler (l-r), der Sieger Ryoyu Kobayashi aus Japan und der Drittplatzierte Lovro Kos aus Slowenien jubeln bei der Siegerehrung. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Angelika Warmuth/dpa)

Karl Geiger stapfte völlig frustriert aus dem Auslauf, Markus Eisenbichler brüllte auch ohne den seit 20 Jahren ersehnten deutschen Neujahrstriumph seine ganze Freude heraus.

Die deutschen Skispringer haben beim emotionalen Jahresstart in Garmisch-Partenkirchen die ganze Bandbreite der Gefühle erlebt und eine weitere Niederlage bei der 70. Vierschanzentournee gegen Japans Ryoyu Kobayashi hinnehmen müssen.

0,2 Punkte, das sind elf Zentimeter: Mehr fehlte Eisenbichler am Samstag nicht, um den ersten deutschen Neujahrssieg seit Sven Hannawald 2002 zu holen. «Ich bin voll zufrieden, voll geil», sagte Eisenbichler, der mit 141 und 143,5 Metern zwei herausragende Sprünge zeigte.

Geiger verliert das Gelbe Trikot

Vor der Weiterreise zum gefürchteten Bergisel in Innsbruck wartet auf die beiden Zimmerkollegen Geiger und Eisenbichler wohl eine Art Rollentausch. Der 28 Jahre alte Geiger verlor zum Start ins Jahr 2022 nicht nur das Gelbe Trikot des Gesamtweltcupführenden, sondern nach seinem siebten Tagesrang wohl auch alle Chancen auf den Tournee-Sieg. «Ich bin ehrlich gesagt stinkesauer. Ich habe es jetzt zweimal nicht so gut gehabt, aber ich hätte es auch besser machen können», sagte Geiger im ZDF. Für ihn sei es «zum Kotzen». Hinter Kobayashi und Eisenbichler komplettierte der Slowene Lovro Kos das Podium.

Kobayashi mit zweitem Tournee-Erfolg

Der 25 Jahre alte Kobayashi sicherte sich nach Versuchen auf 143 und 135,5 Meter vor Eisenbichler den nächsten Sieg und setzte sich damit auch im Gesamtklassement des Traditionsevents ab. Für Kobayashi ist bei der Tournee ein Stück Skisprung-Historie möglich: er könnte als erster Athlet zweimal alle vier Springen der Tournee gewinnen. Dies war ihm bereits 2018/19 gelungen.

«Ryoyu muss einen großen Fehler machen. Ansonsten wird er das nach Hause springen. Wir werden alles geben und schauen, dass wir Richtung Podest kommen – beziehungsweise eventuell noch ganz nach vorne», sagte Deutschlands Bundestrainer Stefan Horngacher. Stolz trug Kobayashi schon bei der Siegerehrung des Neujahrsspringens das Gelbe Trikot, das er zuvor Geiger abgenommen hatte.

Ähnlich begeistert hatte sich auch Norwegens Coach Alexander Stöckl geäußert. «Kobayashi ist in ausgezeichneter Form. Er macht zurzeit keine Fehler.» Beim 100-jährigen Jubiläum des Neujahrsspringens wirkte sein zweiter Sprung zwar nicht perfekt, reichte aber dennoch – und ganz knapp – für den nächsten Tagessieg. Eisenbichler flüchtete sich nach seiner sportlichen Topleistung ein wenig in Fatalismus: «Mein Gott, so ist es im Leben.» Die 0,2 Punkte sind nicht nur umgerechnet etwas mehr als elf Zentimeter, sondern auch weniger als eine halbe Note der Kampfrichter.

Eisenbichler bestätigt aufsteigende Form

Eisenbichler hatte bei seinem rekordverdächtigen 143,5-Meter-Flug keinen Telemark mehr setzen können. Das kostete ihn im Endeffekt den Sieg. «Den Telemark habe ich mich nicht getraut, ich habe keine Linie mehr gesehen», sagte Eisenbichler. Rekord-Weltcupsieger Gregor Schlierenzauer scherzte als Experte im ZDF: «Er ist sehr herzlich eingeladen, in Österreich ein Telemark-Training zu machen.» Zuvor hatte Schlierenzauer Eisenbichler als Tagessieger getippt.

Dessen Freude über Tagesplatz zwei war zwar groß, die Chancen auf den ersten Tournee-Gesamtsieg seit Hannawald vor 20 Jahren sind aber massiv geschrumpft. Das liegt vor allem an Geiger, der als Topanwärter galt und ausgerechnet zum ersten Saisonhöhepunkt seiner absoluten Bestform hinterherspringt. «Er hat ein bissl Pech gehabt. Die Sprünge waren aber auch nicht so gut, wie er es kann. Wir werden das aufarbeiten, haben jetzt einen freien Tag», sagte Horngacher.

Erneut für ein ordentliches Resultat sorgte Stephan Leyhe, der Rang zehn belegte. Auch Olympiasieger Andreas Wellinger erholte sich nach der verpassten Oberstdorf-Qualifikation und holte als 22. diesmal Punkte. Der norwegische Mitfavorit Halvor Egner Granerud büßte als Achter wie Geiger einige Zähler ein und kann den Führenden Kobayashi kaum noch einholen.

Nach dem zweiten und letzten Ruhetag am Sonntag geht es für Geiger, Eisenbichler und Co. nach Österreich. Am berühmt-berüchtigten Bergisel in Innsbruck wurden in der jüngeren Vergangenheit häufig die deutschen Tournee-Träume beendet. Horngacher hat im vergangenen Sommer aber besonderen Fokus auf die schwierige Schanze in Tirol gelegt. Am Dienstag (14.00 Uhr/ZDF und Eurosport) steht das wegweisende dritte Springen an, tags zuvor gibt es im WM-Stadion von 2019 bereits die Qualifikation.

Von Patrick Reichardt und Thomas Eßer, dpa

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