Andreas Wellinger freut sich auf das Springen in Innsbruck. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Angelika Warmuth/dpa)

Auf dem Weg zum angepeilten Vierschanzentournee-Sieg setzt Andreas Wellinger auch auf Ablenkung und Inspiration durch Fußball-Ikone David Beckham.

Die vierteilige Netflix-Dokumentation über den Sport-Popstar zählt für ihn und Skisprung-Kollege Stephan Leyhe zum abendlichen Entspannungsprogramm – auch vor der dritten Station am berüchtigten Bergisel, wo schon mehrfach deutsche Tournee-Träume zu Alpträumen wurden. 

Selbstbewusst wie einst Beckham auf dem Rasen lässt sich Wellinger von dieser Historie nicht beeindrucken. «David Beckham ist ein Weltstar, der im Prinzip ja eigentlich nur kicken wollte. Der Werdegang in Manchester – junger Spieler, dann zum Star gereift mit England, dann der Buhmann der ganzen Nation oder der ganzen Welt gewesen», begann Wellinger nach der Qualifikation in Innsbruck. «Sich aus so einem Loch wieder herauszukämpfen, das interessiert mich an so Geschichten», fügte der 28-Jährige an. 

Herauskämpfen muss sich Wellinger in Tirol zwar nicht, aber nach dem Quali-Sprung auf 119,5 Meter (Rang 15) gibt es am Mittwoch (13.30 Uhr/ZDF und Eurosport) zumindest deutlichen Verbesserungsbedarf. Zumal sein Rivale Ryoyu Kobayashi aus Japan (Dritter) und Verfolger Stefan Kraft aus Österreich (Rang zwei) deutlich besser abschnitten. «Ich bin überzeugt davon, ich habe morgen mehr Glück», sagte Wellinger mit Blick auf den wechselnden Wind.

«Nicht mehr Sorgen als sonst»

An eine Schicksalsschanze glaubt Wellinger nicht. «Damit kann ich relativ wenig anfangen», sagt der große deutsche Sprung-Hoffnungsträger vor dem dritten Tournee-Akt auf der berüchtigten Anlage. Die windanfällige Schanze, auf der unter anderen schon der gestürzte Richard Freitag, Karl Geiger und Markus Eisenbichler Tournee-Chancen verspielten, soll für Wellinger der vorletzte Schritt auf dem Weg zum ganz großen Triumph werden. «Ich freue mich. Ich mache mir nicht mehr Sorgen als sonst», sagt der Spitzenreiter im Tournee-Ranking.

Beim großen Saisonhöhepunkt ist Wellingers Lockerheit greifbar. Er schreibt an den Schanzen entspannt Autogramme, macht Fotos mit Fans und scherzt mit Betreuern und Kollegen. Den Trubel um ihn als potenziellen Nachfolger des bis dato letzten deutschen Tournee-Champions Sven Hannawald nimmt er zwar deutlich wahr. 

Kreischende Fans an den Schanzen

Er stört ihn aber nicht. «Ich bin stolz, dass ich in der Situation sein darf», sagt Wellinger. Wenn Zuschauer an der Schanze auch noch lange nach den Wettkämpfen während der Interviews euphorisch seinen Namen kreischen, winkt und lächelt er. Genervt ist er nicht.

Seine ereignisreiche Karriere hat ihn stärker gemacht. Wer wie er nach einem Olympiasieg einen Kreuzbandriss erleidet, sich jahrelang zurückkämpft und dann entgegen vieler Experteneinschätzungen den Weg zurück in die Weltspitze findet: Der glaubt an sich und lässt sich nicht so schnell aus dem Konzept bringen. «Ich habe die letzten Jahre gelernt, dass ich mir den Druck nur selbst machen kann», sagt Wellinger.

Ein Meter zwischen Wellinger und Kobayashi

Als «Kreuzbandzimmer» bezeichnet Kumpel Leyhe das Doppelzimmer der beiden scherzhaft, weil beide die Knieverletzung schon überstanden haben. Wellinger albere mit ihm rum, verhalte sich auch während der Tournee wie immer, sagt Leyhe. Und Geiger, der Wellinger ebenfalls seit Jahren kennt, sagt: «Er ist sehr entspannt und weiß genau, den Flow mitzunehmen. Ich glaube tatsächlich, er wird das Ding rocken.»

1,8 Punkte, umgerechnet ein Meter, liegt Wellinger zur Halbzeit vor Kobayashi. «Es ist geil, wenn man in der Gesamtwertung führt. Aber am Ende wird abgerechnet», sagt er. «Die Kunst ist, sich bis zum letzten Sprung die wenigsten Fehler von allen zu erlauben.»

Wie Wellinger lässt sich auch Bundestrainer Stefan Horngacher von den jüngsten deutschen Tournee-Geschichten in Innsbruck nicht beeindrucken. «Der Bergisel macht uns gar nichts aus», sagte er. «Wir trainieren viel dort – speziell der Andi, der in der Nähe wohnt.» Wellingers Heimatort Ruhpolding ist weniger als zwei Autostunden von Innsbruck entfernt. Von einer Schicksalsschanze will der 54 Jahre alte Horngacher nichts wissen: «Eine Schicksalsschanze ist eine jede. Überall, wo du Fehler machst, verlierst du Punkte.»

Von Thomas Eßer und Patrick Reichardt, dpa

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